Am Beispiel eines Artikels in der Thüringer Allgemeinen vom 08.01.2013 lässt sich sehr gut nachvollziehen, wie sich Legenden ohne gründliche Recherche und Vorbereitung hartnäckig halten können und immer wieder weitere Verbreitung finden. Fürs Jonastal ist das leider immer wieder Alltag.
Quelle: Landesweit besteht Gefahr durch noch immer scharfe Bomben
Im Aufhänger für den Artikel wurde Folgendes berichtet:
"Die britischen Bomber waren bereits in der Luft - mit Kurs auf Gotha. Die ehrwürdige Residenzstadt erwartete am 4. April 1945 das Ende des Krieges. Die weiße Flagge war bereits gehisst. Die 4. Panzerdivision der III. US-Armee lag mit ihren Kettenfahrzeugen vor der Stadt - und bat die Briten per Funk, beizudrehen...
Erfurt. Es war Rettung in letzter Sekunde. Denn anstelle von Gotha traf es erneut das bereits am Vortag aus der Luft angegriffene Nordhausen. Nahezu die komplette Altstadt lag am Ende des Tages in Schutt und Asche. Rund 8800 Nordhäuser kamen ums Leben..."
Dieser Darstellung muss nach aktuellem Wissenstand widersprochen werden. Belegbar ist der Überflug der Bomber über Gotha am genannten Tag (laut Zeugen ggf. auch über Crawinkel), der Abwurf der tödlichen Fracht über Nordhausen und die Tötung von mehr als 8.000 Menschen. Allein in der Boelcke-Kaserne kamen durch die britischen Bomben auf Nordhausen am 3. und 4. April 1945 ca. 1.300 KZ-Häftlinge zu Tode.
Recherchen von Frau Helga Raschke aus Gotha haben eindeutig ergeben, dass der Angriff von Anfang an für Nordhausen geplant war. Ernsthaft zu bezweifeln ist ein Flächenbombardement einer Stadt durch die Alliierten, bei der die eigenen Truppen bereits vor den Toren standen beziehungsweise bei der Einnahme waren. Eigene Verluste wären unweigerlich die Folge gewesen. Zudem gibt es eindeutige Hinweise darauf, dass am 3. April 1945 in Gotha beschlossen wurde, die Stadt kampflos zu übergeben und weiße Flaggen zu hissen. Nach dem Scheitern der ersten Parlamentärsfahrt entfernte vermutlich SS die weißen Fahnen und die amerikanischen Einheiten begannen wieder mit Artilleriebeschuss und Tieffliegerangriffen. Danach bereitete der Kampfkommandant Oberstleutnant Josef Ritter von Gadolla eine zweite Parlamentärsfahrt vor und lies erneut weiße Fahnen hissen. Zuvor hatte er bereits den einheimischen Volkssturm nach Hause geschickt. 19:00 Uhr fuhr Gadolla in Begleitung mit weißer Armbinde und weißer Fahne den Amerikanern entgegen. Nicht richtig ist ebenfalls, dass er persönlich die Stadt kampflos übergab. Kurz vor Erreichen der Frontlinie wurde er bei Boilstädt von Soldaten des motorisierten Flak-Bataillons 59 abgefangen und verhaftet.
Im Morgengrauen des 4. April 1945 stoppten die Amerikaner den Beschuss auf die Stadt, nachdem erneut die weißen Fahnen auf Schloss und Rathaus gesichtet wurden. Bereits vor dem Überflug der Bomber hatten amerikanische Streitkräfte die Arnoldischule und die Handelsschule in der Eisenacher Straße besetzt, die als Lazarette genutzt wurden. In den Gebäuden wurden 400 verwundete Soldaten zu Kriegsgefangenen erklärt. Ebenfalls in den frühen Morgenstunden kam ein Amerikaner gemeinsam mit einem deutschen Unteroffizier als Dolmetscher ins Rathaus zur Klärung der Übergabe der Stadt. Gespräche zur Vorbereitung wurden erneut in der bereits besetzten Arnoldischule geführt und abschließend zurück im Rathaus eine bedingungslose Übergabeerklärung formuliert. Gegen 9:00 Uhr am Morgen fand die förmliche Übergabe der Stadt an die Amerikaner statt. Obwohl Gadolla selbst die Stadt nicht übergeben konnte, so hatte er als verantwortlicher Kommandant bewusst gegen den Führerbefehl gehandelt und mit diesem Entschluss der Stadt die Zerstörung und den Einwohnern unendliches Leid erspart. Diese beherzte Befehlsverweigerung bezahlte er mit seinem Leben. Der Termin für den Prozess vor dem Standgericht in Weimar wurde auf den Nachmittag am 04. April gelegt. Einen Tag später am 5. April 1945 wurde Gadolla in der Weimarer Mackensen-Kaserne standrechtlich erschossen.
Die Verschonung der Stadt Gotha durch die Bomber lässt sich mit den verfügbaren Quellen so nicht länger halten. Es ist nicht richtig, dass Gotha für diesen Tag auch Ziel eines Flächenbombardements war und dass noch kurz vorher über Funk die anfliegenden schweren Bomber nach Nordhausen umgeleitet wurden. Der Einsatzbefehl der 5., 8. und 11 Group der britischen Royal Air Force galt bereits vor dem Start der Boelcke-Kaserne und dem Stadtkern von Nordhausen. 9:08 Uhr warf der erste Masterbomber über der Kaserne die Zielmarkierungsbomben ab und der geplante Großangriff begann. Der Funkspruch aus Gotha ist ebenfalls überliefert. Ob er aber von den alliierten Piloten zur Kenntnis genommen wurde, bleibt unbekannt.
Dies alles ist nachzulesen im Buch "Josef Ritter von Gadolla und die letzten Kriegstage in Gotha" auf den Seiten 116 bis 144. Die Ausführungen von Helga Raschke aus dem Jahr 2007 müssen alle Zweifel an der Legende verstärken. Die Autorin gibt als sekundäre Quelle an: "Nordhausen im Bombenrevier. Zum Luftkriegsschicksal einer mitteldeutschen Stadt 1940-1945", Seite 138 bis 142 sowie Seite 159, Autor: Walter Geiger.
Danksagung
An dieser Stelle möchte ich Frau Dr. phil. Helga Raschke danken. Sie ist gebürtige Gothaerin und gilt als Expertin für Gothaer Stadtgeschichte und regionale Volkskunde. Von 1968 bis 1981 war sie Direktorin des Museums für Regionalgeschichte und Volkskunde mit Ekhof-Theater in Gotha. Im Mittelpunkt ihrer jahrzehntelangen Forschungsarbeit stand neben der Stadtgeschichte von Gotha auch die Erforschung der Umstände des Konzentrationslagers S III sowie die Sammlung der Aussagen überlebender Häftlinge. Ihre fundierte Arbeit bildete die Grundlage auch für meine Arbeit. Ebenso danke ich ihr für die Widmung im meinem Buch über Josef Ritter von Gadolla vom 08.11.2008.
Meinem Freund Silko danke ich für den Buchtipp und die langjährige Zusammenarbeit.
Was bleibt zu tun? TA Artikel direkt kommentieren, Wiki Eintrag für Gadolla korrigieren und ein paar Seitenbetreiber anschreiben und ebenfalls auf den Fehler hinweisen.
Weitere Quellen im Internet:
JOSEF RITTER VON GADOLLA, Egon Ehrlich/ Helga Raschke
Ein Grazer Offizier im militärischen Widerstand
(Aus: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. Jahrbuch 2003, Wien 2003, S. 162–191)
Fußnote 98
Bis in die Gegenwart hält sich die Legende, dass Gotha mit der Übergabe „vor einem schrecklichen Flächenbombardement bewahrt wurde, das kurz danach auf Nordhausen niederging,“ wie sich Helmut Roob in „Keine Legende“ (Gothaisches Museums-Jahrbuch 2002, S. 147) ausdrückte. Roobs Artikel war eine Polemik auf den Beitrag Ehrlich / Raschke über Gadolla im Gothaischen Museums-Jahrbuch 2000. Darin wurden Zweifel an den Aussagen Gothaer Bürger nach Kriegsende angemeldet, die behaupteten, dass das Bombengeschwader der Alliierten, das Nordhausen in Schutt und Asche legte, eigentlich auf Gotha gerichtet war und während des Fluges nach Nordhausen befohlen wurde. Den Einsatzbefehl mit dem Ziel für den Bombenabwurf erhielten aber die Piloten beim Start, wie das uns freundlicherweise Dr. Walter Geiger, Nordhausen, mitteilte. Die Flugroute des Geschwaders war über Fulda und Gotha angegeben. Bei Gotha hatten die Bomber nach Norden abzudrehen und ihre Last auf Nordhausen abzuwerfen. Einzelheiten dazu wird W. Geiger in einer Publikation über das Kriegsende in Thüringen darstellen (in Vorbereitung).
Ehre dem Retter, Die Zeit Online, 1997
Die letzten Worte des Offiziers: "Damit Gotha leben kann, muß ich sterben"
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